
Neben all den Gesprächen mit Jugendamt, Anwälten, Gericht und Pflegefamilie ist es aber Bonuskind1 und sein Bild von sich selbst, das mir am meisten Gedankenarbeit beschert.
Einem Kind Selbstwert zu vermitteln, der nicht auf Reaktionen oder Wertvorstellungen anderer Menschen beruht, ist wohl eine der größten Aufgaben, denen man sich bei der Erziehung stellen muss.
Hier gilt die Regel, dass jeder sein eigenes Leben leben muss.
Jeder ist selbst für sein Glück verantwortlich.
Ich muss das Leben von Kind1 beispielsweise nicht leben.
Keine ihrer Freundinnen muss ihr Leben leben.
Darum gibt es auch nur eine einzige Person auf der ganzen Welt, die ihr sagen kann, was für sie das Richtige ist.
Was sie erfüllt, was sie glücklich macht.
Was sie anzieht, worin sie sich wohl und schön fühlt.
Wie lang ihre Haare sein sollen und wieviel Schminke sie benutzen will.
Mit welchen Menschen sie sich umgeben möchte, welche Personen ihr guttun.
Es gibt einen Rahmen, natürlich.
Ich würde meine Aufgabe nicht sehr gut erfüllen, wenn es nicht gewisse Grenzen gäbe. Diese Grenzen beinhalten allerdings niemals eine Wertung ihrer Entscheidungen.
Und so ist das große Tochterkind ein in sich ruhendes und von innen heraus strahlendes, wunderschönes Wesen, das gelernt hat, auf sein Bauchgefühl zu hören. Sie ist ein Mensch, der so klar und selbstbestimmt die Beweggründe für seine Entscheidungen darlegen kann, dass es mich manchmal vor Ehrfurcht erstarren lässt.
Nun wird die gleichalte Bonustochter bald hierherkommen und sie kommt aus einer ganz anderen Welt.
Eine Welt, wie die meisten Menschen sie kennen.
Eine, die aus emotionaler Erpressung, Druck, und Erwartungshaltung besteht.
Und die von keinem Menschen schlechter denkt als von sich selbst.
Sie verabscheut ihren Körper, ihr Aussehen, ihre Weiblichkeit und ihre Intelligenz.
Es sind harte Worte, die sie für sich selber findet.
Was mache ich nur mit ihr?
Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen, ich habe diese 14 Jahre Erziehungsarbeit nicht mehr zur Verfügung, ich kann das Kind doch aber auch nicht in dem Glauben lassen, dass das alles schon richtig sei?
Ich weiß nicht, ob ich ausreichend darauf vorbereitet bin.
Ich weiß nicht, ob ich ihr genügend Rüstzeug mitgeben kann.
Manchmal erscheint mir die Aufgabe, die vor uns liegt, als viel zu groß.